Das Fleisch des Menschen
Von Arndt Zinkant
MÜNSTER – Das Leben ist ein Schlachthaus. Auch und vor allem für jene zarten Wesen, die sich auf der Bühne des Pumpenhauses aus der Ursuppe des Schöpfergottes erheben – Mädchen. Denn im Schlachthaus dreht sich alles um Fleisch, jenes seltsame Material, aus dem wir gemacht sind. Das die Menschen magisch anzieht oder abstößt. Das geküsst oder verspeist wird. Begutachtet, bewertet und verkauft. Das schließlich welk wird und verfällt.Klingt düster und philosophisch? So ist „meat the girl(s)“ vom Jungen Theater Cactus natürlich nicht. In einer Regie von Judith Suermann und Sarah Giese ließen es acht „Girls“ bei der Premiere mächtig krachen. Da wurde gesungen und gerockt, kokettiert und schelmischer Krawall gemacht. Das Pumpenhaus war über die offizielle Bestuhlung hinaus besetzt, nicht zuletzt mit Freunden und Verwandten, die frenetischen Beifall spendeten.
Solche Stücke übers Erwachsenwerden ähneln einander natürlich. Dieses zwölfte Mädchenstück von „Cactus“ konzentrierte sich aufs Fleischliche und die Schlachthaus-Metaphorik, deklinierte alle Facetten des „Fleischkonsums“ durch. Vom banalen Hackfleisch über käuflichen Sex bis zum parodistischen Kannibalismus-Gesang („Komm, wir fressen jetzt die Oma“).
Die laut auftrumpfenden Mädchen zeigten mittels Kostümen symbolisch die Muskeln und Sehnen unter der Haut. Während am Beginn noch alles im Gänsemarsch swingt, wird der Ruf nach „Mama!“ laut, als die Pubertät sich meldet und OB keine Abkürzung für Oberbürgermeister mehr ist. Manche Moritat wie aus dem „Struwwelpeter“ wird erzählt: „Paulinchen war allein zu Haus . . .“ Doch nicht das Feuerzeug ist’s, was ihr droht, wenn die Katzen ihr „Miau-Mio!“ maunzen. Gleich dem Rotkäppchen muss sie erkennen, dass Papas Freund ein böser Wolf sein kann. Eine andere Moritat macht den nicht minder berühmten „Suppenkaspar“ zum magersüchtigen Model-Mädel.
Samira Karidio, Rosalie Motel, Jana Düring, Dilara Yilmaz, Lotta Kuss, Emma Ernst, Ida Cham und Eva-Lina Wenners spielen das mitreißend. Und Judith Suermann hat ihnen so viele Tanzsequenzen choreographiert, dass „meat the girl(s)“ fast als Tanzstück durchginge. Da ist ein orientalischer Bauchtanz dabei, eine schön ironische „Cheerleader“-Nummer – und wenn archaische Amazonen ihre Fruchtbarkeit zelebrieren, wirkt es teils wie Aerobic. Bei aller guten Laune wird über den ernsten Tellerrand des Lebens hinausgeblickt. Bis zu dessen Ende. Aber die heitere Schluss-Parole lautet dennoch: „Schüttel den Speck!“
Fleisch ist das ambivalente Thema, mit dem sich das junge Theater Cactus in seinem zwölften Mädchenstück beschäftigt. Foto: Ralf Emmerich