WN 06.07.2018: Cactus-Premiere: „reich der wörter“

Aufstand der Sprachlosen

Von Helmut Jasny

Münster – Einfache Wörter werden im Bauchladen verkauft, kompliziertere im Fachhandel. Verbotene Wörter gibt es auf dem Schwarzmarkt, und wer einen wirklich tollen Ausdruck haben will, muss eine Menge Geld hinlegen. Dafür hat er dann auch alle Möglichkeiten, in der Welt voranzukommen, die Leute zu manipulieren und seine Stellung zu behaupten.

Worte sind nicht länger wohlfeil in der neuen Cactus-Produktion „reich der wörter“, die am Donnerstag im Pumpenhaus Premiere hatte.
Unter der Regie von Sarah Christine Giese und Ronja Klauschke entwirft das zehnköpfige Ensemble eine Welt, die auf den ersten Blick recht kurios anmutet, auf den zweiten Blick dann gar nicht mehr so sehr. Sprache ist darin nicht länger eine Sache des Lernens, sondern des Kaufens. Arme Menschen erweisen sich hier naturgemäß als sprachlos, reiche hingegen können ihre Wünsche und Bedürfnisse bestens artikulieren.
Für die Umsetzung der Idee hat das Cactus-Theater eine Reihe aussagekräftiger Szenen entwickelt. So sieht man die Akteure, wie sie in der Fabrik schuften und Wörter produzieren. Flotte Stummfilmmusik und eine hektische Fließband-Choreographie sorgen für die passende Stimmung. Es gibt eine Bestsellerliste der meistverkauften Wörter und einen Werbespot für besonders coole Ausdrücke, die Jungs erwerben können, um in Clubs erfolgreich Mädchen anzusprechen. Auch Wörter, die man nicht mehr verwenden kann, weil man in eine neue Sprache oder Kultur geraten ist, werden thematisiert. Und in der Altwortsammelstelle werden abgenutzte Begriffe zu neuen Vokabeln recycelt.
Es ist ein originelles, höchst vergnügliches Stück, das Cactus hier auf die Bühne bringt. Als „modernes Theater-Tanz-Märchen“ wird es im Programm bezeichnet – zu Recht, denn mit fortlaufendem Spiel treten die Dialoge zugunsten des Tanzes immer mehr in den Hintergrund. Die von Sebastian Knipp entwickelten Choreographien reichen vom verliebten Pas de deux bis hin zum Aufstand der Sprachlosen. Aufstand deshalb, weil sich die Menschen nicht länger ihrer Ausdrucksmöglichkeiten berauben lassen und rebellieren. Mit Erfolg, denn es ist ja ein Märchen. Und als am Ende Zettel mit lauter schönen Wörtern vom Himmel fallen, ist nicht nur die Sprache wieder frei, sondern auch der Mensch.

Die Menschen vor den Toren wollen sich nicht länger ihrer Ausdrucksmöglichkeiten berauben lassen: Sie rebellieren.
Foto: Erich Saar