WN 30.10.2016: Tanzfestival im Großen Haus Handy-Sucht und Piraten-Kampf

Von Arndt Zinkant

Münster – Frenetisches Johlen stand am Ende des „24. Münsteraner Tanzfestivals“. Und die Erkenntnis: In Münster hat die freie Tanzszene ein Zuhause – die Fans füllten das Große Haus bis unters Dach.
Das sei nicht immer so gewesen, erinnerte sich Moderator Matthias Bongard. Erstmalig sei die Sause im Jahr 1989 über die Bühne gegangen – in jenem Jahr, als Boris Becker und Steffi Graf einen Doppelsieg in Wimbledon hinlegten und in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Protestler zu Tausenden getötet wurden. Der Protest der Tanzfans lautete seinerzeit, dass die freie Szene in Münster kaum Beachtung finde. Tempi passati!

Zehn Gruppen zeigten am Samstag auf der Bühne Ausschnitte ihres Repertoires, und so vielfältig die Stile auch daherkamen – stets rauschte der Beifallspegel steil nach oben. In der Tat waren die Beiträge meist absolut hinreißend, von wilden Reisen durch die „wahren Hip Hop-Tanzstile“ („Notik“ von Bruno de Carvalho) bis zum feurig auf die Bretter gestampften Flamenco („Flamenco Blanca Nieves“). Es dominierten aber insgesamt die diversen Gruppen junger Frauen und Mädchen aus Münster und Umgebung. Schnell, kraftvoll und sexy.
Zum Beispiel die geschmeidige Performance vor riesigem Spinnennetz der Company „Flics“ war beispielhaft für die sinnlichen Choreographien der Tanzgruppen. Der nachfolgende „Fight“ vor Piratenflagge hätte aber wilder und musikalisch subtiler sein dürfen. Da waren die Girls von „Xtravaganz“ dichter an ihrer Lebenswelt, als sie die moderne Smartphone-Sucht gebeugten Blickes auf die Schippe nahmen – um sich dann mit Wucht und Wonne gleichsam ins Leben zurückzutanzen. „Wir funktionieren wie Maschinen!“, wollte Choreographin Tatjana Jentsch anprangern.
Apropos anprangern: Die Nummern mit kritischem Unterbau machten weniger Spaß. Da wäre etwa die Solo-Performance von Juliette Boinay, die sich quasi einen Dialog mit sich selbst lieferte. Der Künstler Gan-Erdene Tsend hatte Boinay zwar beeindruckend gemalt, doch als Tanzreflexion über weibliche Rollenbilder wirkte das zu beliebig.
Welch ein Unterschied zu den „No Label Dancers“ vom Jungen Theater Cactus. Hier ging es um das „Afrika-Feeling“: Typisches und Ironisches gingen Hand in Hand, und heraus kam gute Laune pur.
Das Beste zum Schluss. Das Ballett Pandoursky zeigte mit „Madame Butterfly“, wie erwachsen Tanz eben auch sein kann. In einer anmutigen Choreographie ließ Jisun Kwon ihre Cio-Cio-San so schön wie selten leiden (wenn auch leider ohne Pinkerton). Und nach der rhythmischen Dampfwalze über zwei Stunden war Puccinis Musik wie Labsal für die Ohren.

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 Foto: Oliver Berg