WN: 04.08.2016 Peinlichkeit will geübt sein

Cactus Junges Theater probt mit Gifty Wiafe „Das liegt im Blut?“

Von Gerhard H. Kock

Münster – „Orgasmus.“ Upps. „Organismus“. Gifty Wiafe hat sich versprochen. Mehrfach. Absichtlich. Und versehentlich zugleich. Schließlich steht die 22-Jährige auf der Bühne. Dem Lapsus soll die Peinlichkeit folgen. Wohlwollend kritische Blicke begleiten die junge Darstellerin dabei, sich zu versprechen und dann scheinbar unangenehm berührt zu sein. „Cactus“ probt im Hoppengarten ein neues Stück. Ein Solo. Ein Abend über Deutsche, Afrikaner und wie sie sich sehen. Dafür ist Gifty Wiafe die perfekte Besetzung.
In Wiafes Brust schlagen zwei Herzen: Deutschland und Ghana. In ihrer afrikanischen Heimat ein schulischer Überflieger, in ihrer deutschen Heimat macht sie Abitur – am Scholl-Gymnasium. Ihre Lebenserfahrung wird in die Produktion „Das liegt im Blut?“ einfließen, die sich mit den vorurteilsbeladenden Blickwinkeln beider Seiten und problematischen Beziehungen beschäftigt, wirtschaftlichen zum Beispiel.

Prekäre Exporte aus Europa belasten die Menschen in Ghana: Hühnchenabfälle ruinieren regionale Produzenten, deutscher Elektroschrott generiert dort Müll, Umweltprobleme und Armutsarbeiter. Ironie der Wirklichkeit: Henry Nya­diah (als Künstler für Bühne und Design zuständig) hat in Deutschland Unglaubliches erlebt: Der Ghanaer wollte für Sauberkeit sorgen, hob ein Kaugummi-Papier auf und beförderte es in die nächste private Tonne. Eine Frau rief daraufhin die Polizei, die das Papierchen in der Tonne fand und den „Täter“ stellte.

Solche Erlebnisse bilden einen Hintergrund für das 80-minütige Solo. Gifty Wiafe will aber mit ihrem Spiel nicht klagen, vielmehr ermutigen, zur Veränderung der Gesellschaft beizutragen“ und „nicht über sein Schicksal zu klagen“.

Daher knöpft sich das Stück Vorurteile in beide Richtungen vor: In Ghana glaube man, das Geld liegt in Deutschland auf der Straße oder wächst zumindest auf Bäumen. Die Erwartung der Familien an ihre Angehörigen hier sind immens und belastend. Auf der anderen Seite trommeln ghanaische Frauen aus Tradition nicht. Wiafe wird im Stück trommeln. Da könnte der Europäer denken, das liege Afrikanern halt im Blut. Auch ein Vorurteil, das das Stück erhellen will.

Die Theater-Produktion wird mehrfach in Deutschland und in Ghana gezeigt. Das Solo ist das Pilot-Projekt der ghanaisch-deutschen Künstlerplattform für das Theater „Sisimbom“ („Lasst uns zusammen lossegeln“). Premiere ist am 21. September im Pumpenhaus.

Bis dahin haben Barbara Kemmler (Regie) und Frank Sam (Choreographie) noch viele Proben vor sich und geben Tipps an Gifty Wiafe. Kemmler: „Man darf nur 80 Prozent geben. Wenn Du dich verausgabt, dann bist Du leer. Dann kannst Du nichts mehr vom Publikum aufnehmen.“ Und das soll über das Stück mit den schweren Themen staunen und sich zugleich gut unterhalten fühlen.

Gifty Wiafe

Wohlwollend kritische Blicke (v.l.): Henry Nyadiah, Barbara Kemmler und Sabeth Dannenberg beobachten das Spiel von Gifty Wiafe (kleine Bilder) – nicht im Bild Frank Sam.
Foto: Gerhard H. Kock