Jedem seine Utopie
Von Isabell Steinböck
MÜNSTER – „Dasein. Wo?“ ist nicht nur der Titel des Stücks, das Cactus Junges Theater unter der Regie von Barbara Kemmler (Texte: Marian Heuser) im Pumpenhaus zur Premiere brachte. Die Frage nach Identität, dem persönlichen Platz im Leben bildete die zentrale Ausgangsfrage für eine interkulturelle Produktion, die teils humorvoll, teils melancholisch, mitunter auch mutlos diverse Lebenslagen reflektiert.
Die Kulisse wirkt wie ein Klettergerüst. Zwölf weiß gekleidete Darsteller sitzen auf den Alu-Verstrebungen (Bühne: Franklin Ufford), lassen die Beine pendeln oder schlagen gedankenverloren gegen das Metall. Andere sprechen Sätze, die von Eltern oder Lehrern stammen könnten: „Träumst du schon wieder?“, „Wo bist du mit deinen Gedanken?“ oder „Bist du schon wieder in deiner eigenen Welt?“
Etwa, wenn es um Leistung auf dem „Markt der Möglichkeiten“ geht. Vom Turbo-Abi im Stil des Schneller-, Weiter-, Besser-Seins ist die Rede und von der Angst vor dem Versagen. „Gib mir Ritalin, grünen Tee oder Coffee Speed“, rufen die jungen Darsteller dann, ihr angeekelter Gesichtsausdruck spricht Bände.
Barbara Kemmler lässt ihr neu aufgestelltes, überzeugendes Ensemble einiges ausprobieren. Nicht nur Schauspiel, auch Gesang kommt auf die Bühne und bemerkenswert viel Bewegung. Sabeth Dannenberg hat leise, aber auch sehr lebendige Szenen choreographiert, die mal die Gruppe, mal den Einzelnen ins Rampenlicht rücken. Ein Gewinn ist ebenfalls Musiker Knud Krautwig. Spielt er in der einen Szene auf einer singenden Säge, bietet in der nächsten ein gefüllter Wassereimer die passende Klangkulisse. Nicht zu vergessen Gitarre und Bass, mit denen er Evergreens (leicht verfremdet) zu Gehör bringt.
Authentisch wirken Momente, in denen es persönlich wird. Juliette Nkometa besingt wehmütig die verlorene Kindheit; eine andere spricht davon, dass sie sich früher selbst nicht wahrnahm. Einsamkeit in der Menge scheint allgegenwärtig, führt zu lähmender Tristesse.
Den ausdrucksstarken Emmanuel Edoror scheinen mittelalterliche Gesänge wiederzubeleben. Grotesk, wie er seine Glieder zu kontrollieren versucht und dabei größte Körperbeherrschung zeigt: „Utopie kann nur durch mein Handeln wirklich werden“, sagt der Tänzer. Vorausgesetzt er ist da. Hier.
Mit Kreativität auf Sinnsuche: Das Paar versetzt sich mit viel Bewegung in den Zustand von Wasser, das gluckernd von einem Zustand in den nächsten treibt (mal Träne ist, mal Eistee, mal flüssig, mal fest).
Foto: Ralf Emmerich