WN: 28.11.2013 Shakespeares Richard – Macht macht Lust

Von Peter Sauer
Münster – Das Jugendtheater Cactus hat sich dem übelsten Schurken der Theater-geschichte vorgenommen. Die Inszenierung zeigt, wie aktuell der Klassiker sein kann.

Richard hinkt, sieht mit seinem Kapitän-Ahab-Bart nicht gerade gut aus. Aber er weiß um sein Talent als Strippenzieher im feinen Zwirn, der es versteht, sich eiskalt allein mit Worten über Intrigen den Weg zur Macht zu ebnen. „Richard“ hat das Theater Cactus sein neues Stück betitelt. Sehr frei nach von Shakespeare hat Sarah Giese dafür eine aktuelle, eigenständige Textfassung geschrieben, die die Quadratur des Bösen als zeitlose Krankheit machtbesessener Emporkömmlinge und ihrer machtgläubigen Gefolgschaft schonungslos offenlegt.

Es geht um Machtgeschachere unter dem Deckmantel der Politik, ob in westlichen Demokratien oder in den Ländern des Arabischen Frühlings. Richard, von adeligem Blute, will an die Spitze einer Partei – und geht dabei über Leichen, auch in der eigenen Familie.

Shaun Fitzpatrick brilliert bei der Premiere als wortgewaltiger, dämonischer Despot mit Charme, Cleverness und Größenwahn, Rica Hellige ist die bis zuletzt kämpferische Witwe Anne, die sich von Richard zwei Mal ihr Herz brechen lässt. Und wie man als Fähnlein im Winde im tödlichen Polit-Zirkus überleben kann, lebt Mareike Fliege als Schwägerin Elisabeth vor – unter Einsatz ihrer weiblichen Reize und unter dem Opfer ihrer Tochter. Alsfeine Herzogin punktete Christoph Winges – als offenbar letzte verbliebene moralische Instanz.

Bei aller Zeitkritik kommt bei Cactus aber der (absurde) Humor nicht zu kurz. Ein Filmeinspieler karikiert politische Skandale, aber auch Medienklischees. Die blutrünstigen Todeskämpfe werden in Comic-hafter Zeitlupe ad absurdum geführt. Das tollpatschige Mördergespann (William Ngala und Hazyr Kurti) parodiert zudem pointenreich bekannte Krimi-Szenen. Doch das Lachen bleibt jäh im Halse stecken, wenn Richard seine potenziellen Widersacher nach bester Tarantino-Manier niedermetzeln lässt.

Genial ist der Einfall, mit Songs von Elvis Presley das chaotische Innenleben des selbst ernannten (Polit-)„Kings“ Richard offenzulegen („Devil in Disguise“).

Die 135 Minuten lange Groteske gerät durch rasante Regie-Einfälle von Alban Renz und Andy Strietzel sowie als gekonnter Mix aus Shakes­peare’scher Vers-Sprache (Richard), modernem Zeitgeist (Ensemble) und dem Herzblut-Einsatz des famosen (Laien-)Ensembles sehr kurzweilig. Minutenlanger Applaus für ein erfrischendes Shakespeare-Update.

WN 28.11. richard
Der Machtmensch Richard (Shaun Fitzpatrick) wird auf Händen getragen.
Foto: Ralf Emmerich